Kairuan, Hauptstadt der westlichen arabischen Provinz Ifrikia, im Sommer 970: Am Hof des Fatimidenkalifen Al Muizz herrscht Aufbruchsstimmung. Der Umzug in die neue, zweitausend Kilometer östlich gelegene Residenzstadt Al Kahira – "die Siegreiche"; das heutige Kairo – steht bevor. Erst vor kurzem hat sich Ägypten, der Misswirtschaft durch die Vasallen der Kalifen von Bagdad überdrüssig, die Dynastie der Fatimiden ins Land geholt. Im Gegenzug garantierten die neuen Herren der christlichen und jüdischen Bevölkerung des Niltales Religionsfreiheit. Um die Wirtschaft anzukurbeln, haben sie sich verpflichtet, eine neue, prachtvolle Hauptstadt zu bauen und ihren Goldschatz als Mitgift in den Staatsschatz einzubringen – einhundert Goldbarren, jeder von der Größe eines Mühlsteines.
Mit Ägypten als neuer Basis hat das gefürchtete Berber-Heer der Fatimiden Palästina und die Libanonküste binnen kurzem überrannt und befindet sich nun im Vormarsch durch Syrien. Für die Großmächte der Epoche, das christliche Kaiserreich Byzanz und das sunnitische Kalifat von Bagdad, sind die expansionslustigen Schiiten aus Nordafrika zur ernsten Bedrohung geworden.
In diese Zeit fällt die Geburt der Prinzessin Sitt Al Mulk, Enkeltochter des Kalifen Al Muizz. Der junge Vater, Prinz Abul Mansur, ist erst fünfzehn Jahre alt, doch zeichnen sich schon jetzt Züge seiner außergewöhnlichen Persönlichkeit ab, die von den Chronisten in späteren Jahren viel gepriesen werden wird: Der Mutter des Kindes, einer byzantinischen Konkubine, ebenso jung wie er, ist er in tiefer Liebe verbunden; sie wird seine Favoritin bleiben. Nicht minder liebevoll akzeptiert er die wunderhübsche kleine Tochter, die sie ihm geboren hat, und zeichnet sie schon jetzt aus durch den Namen, den er ihr gibt: Sitt Al Mulk. Das bedeutet sowohl "Herrin des Reiches" als auch "Herrin der Macht". Der Name ist ihr Omen, denn tatsächlich wird Sitt Al Mulk bitteren Rückschlägen und enormen Widerständen zum Trotz in dem riesigen Reich mit großem Geschick die politischen Fäden ziehen.
Kairo, 975: Kurz nach dem triumphalen Einzug in der neuen zitadellenartigen Hauptstadt sterben der Kalif Al Muizz und sein Thronfolger Abdallah in knapper Folge eines überraschenden Todes. Dadurch kommt ebenso überraschend der inzwischen zwanzigjährige Prinz Abul Mansur, Sitts Vater, ans Ruder der Macht. In die Geschichte geht er ein als Kalif Al Aziz. Hervorragend beraten von seinem Großwesir, dem Juden Yakub Ibn Killis, regiert er klug und souverän. Ein goldenes Zeitalter bricht an: Kairo wird binnen kurzem zum Zentrum der arabisch-islamischen Macht. Zunehmend wächst die neue Hauptstadt mit der alten, Misr, zu einer Einheit zusammen, und daraus entsteht ein religiöser und kultureller Schmelztiegel von schillernder Farbenpracht. Immense Reichtümer fließen ins Land und in die Schatzkammern der Fatimiden.
Der Harem der Kalifen von Kairo hat die großzügige Palastanlage der Residenzstadt bezogen. Sie wurde am Nilufer inmitten eines prachtvollen alten Gartens nach astronomischen Gesichtspunkten erbaut. Viele Tausend Dienerinnen und Eunuchen sorgen für das Wohlergehen der Gattinnen, Prinzessinnen und Konkubinen und für das Funktionieren des riesigen Haushaltes. Gelangweilte Haremsfrauen, unterbeschäftigte Fatimidenprinzen und machthungrige Eunuchen vertreiben sich die Zeit mit politischen Machtspielen.
In dieser Atmosphäre von Luxus und Intrige wächst Sitt Al Mulk, von mehreren Ammen umsorgt, heran. Am Hof herrscht religiöse Toleranz, und so fühlt Sitt sich im christlich-orthodoxen Glauben ihrer byzantinischen Mutter ebenso zuhause wie im ismailitisch-schiitischen der Fatimiden. Sie entwickelt großen Lerneifer, der sie ihrem Vater Al Aziz noch näherbringt. Der Kalif ist ein hochgebildeter Mann, der griechische und lateinische Literatur in den Originalsprachen liest. Wie einen Prinzen lässt er seine Tochter unterrichten. Bei seinen Amtsgeschäften und bei den höfischen Zeremonien, die mit pharaonischer Prachtentfaltung begangen werden, darf sie in seiner nächsten Nähe sein.
Auf diese Weise wächst Sitt hinein in die Politik und wird zur engen Vertrauten des Kalifen. Das ganze Land weiß um den Einfluss seiner Tochter, und nicht einmal Wesire scheuen sich, sie um Fürsprache beim Herrscher zu bitten. Gezielt nützt die Prinzessin ihren Einfluss, um Christen und Juden zu fördern. Sie selbst sieht sich zeitlebens sowohl als Muslimin als auch als Christin und weiß, wie wichtig es für den Frieden des Landes ist, dass die nicht-islamischen Religionsgruppen zufrieden sind, denn zu ihnen bekennt sich im Niltal immer noch die Mehrheit der Bevölkerung.
Bei offiziellen Anlässen bewegt sie sich selbstbewusst und unverschleiert. Ihre Schönheit wird weithin gerühmt. Sie lebt in der vom Vater genährten Vorstellung, dass dereinst sie selbst seine Nachfolge antreten wird. Ihr Leben gestaltet sich bereits entsprechend: Sie bewohnt den eleganten Thronfolgerpalast und unterhält eine heimliche Liebesbeziehung mit einem Cousin und Sohn des früh verstorbenen Thronfolgers Abdallah. In ihren Plänen wird dieser Prinz in ferner Zukunft den Kalifenthron besteigen, sie aber als seine Gattin und Königin die Herrschaft ausüben.
Da erscheinen am Horizont Gewitterwolken: Sehr spät hat Sitts Mutter, die byzantinische Favoritin des Kalifen, doch noch einen Sohn geboren. Für Sitt kommt es dadurch zu einer schicksalhaften Wende: Schon seit längerer Zeit gärte es unter den Berbern im Heer und in der Beamtenschaft wie auch im muslimischen Pöbel wegen der guten Stellung, die der Kalif den Christen und Juden einräumt. Immer lauter werden die Vorwürfe gegen ihn, immer gehässiger die gekritzelten Tiraden, die allmorgendlich von den Mauern der Moscheen gewaschen werden müssen. Am Ende entschließt sich der Kalif, seine Tochter und Beraterin zu opfern, die wie er für die tolerante Politik seiner Regierung steht, und designiert im Jahr 993 ihren gerade achtjährigen Bruder offiziell als Thronfolger.
Kairo, 996: Der Kalif Al Aziz stirbt im Alter von 43 Jahren. Der Thronfolger – Sitt Al Mulks Bruder und Rivale – ist erst elf Jahre alt. Gegen das islamische Recht, das einen Minderjährigen nicht als Kalifen zulässt, wird der Knabe von einer Palastverschwörung auf den Thron gesetzt.
Da sieht Sitt Al Mulk die Zeit zum Handeln für gekommen. Sie selbst ist jetzt sechsundzwanzig und bestens aufs Regieren vorbereitet. In fliegender Eile trifft sie die Vorbereitungen für die Hochzeit mit ihrem Geliebten. Schon steht der Tag fest, an dem "ihr" Kalif den Thron besteigen wird, als sie von tausend Wächtern bewacht hinter Haremsmauern gefangengesetzt wird. Doch die Verschwörer haben nicht mit dem Durchhaltewillen der jungen Frau gerechnet ...
In der arabischen Welt ist die Fatimidenprinzessin Sitt Al Mulk (970-1023) ähnlich berühmt wie Katharina die Große oder Maria Theresia in Europa. Darüber hinaus weist auch die Geschichte ihres Lebens verblüffende Parallelen zu den beiden europäischen Herrscherinnen auf.
Die Fatimiden regierten vor rund eintausend Jahren eines der großen Reiche der Weltgeschichte. Es erstreckte sich an seinem Höhepunkt vom Maghreb über Nordafrika, Sizilien und Syrien bis nach Mesopotamien und blieb 200 Jahre lang bestehen.
Als große Förderer der Wissenschaften bereiteten die Fatimiden den Weg für die Renaissance in Europa. Ihre "Schattenkalifin" führte als Tochter eines Kalifen und einer Byzantinerin ein Leben zwischen den Religionen. Unermesslicher wirtschaftlicher Reichtum und eine von der höfischen Prachtentfaltung genährte Kultur machte Sitt Al Mulks Zeit zu einer der goldenen Epochen des Islams. Doch war auch diese Zeit nicht gefeit vor politischen Wirrnissen, noch vor den Launen des Nils, und so geschah am Hof und im Harem der Kalifen und in den engen Gassen von Kairo alles im Übermaß: Leben, Feiern und Lieben ebenso wie Leiden, Hassen und Sterben.